Mittwoch, 7. Juni 2023

Mensch Kumpel

 

„Mensch Kumpel was ist los?“ fragt mich mein Xellsbeer. Er legt mir die Hand auf die Schulter. Seine schwere warme Hand, die mir immer wieder das Herz öffnet.

„Nichts.“ sage ich und meine: mit mir ist gerade nichts los. ER versteht mich. Nicht wie alle anderen, die zum normalen Tageschaos übergehen und irgendeinen belanglosen Scheiß daherreden. Einfach damit die Leere gefüllt ist. Vielleicht auch um in Kontakt zu kommen aber nicht um tiefgründige Gespräche zu führen. Danach wäre mir.

„Warum?“

„Wir vergeuden unsere Zeit“ sage ich ihm. „im Idealfall tun wir belanglose Dinge: Kaufen etwas. Essen etwas. Reden etwas. Nur um die Leere in uns nicht spüren zu müssen. Bloß nichts Tiefgründiges. Nichts was an der Blase kratzt, die alles einsperrt. Wir glotzen stumpfsinnige Fernsehsendungen um zu sehen, wie wir sein sollen. Machen laute Partys, damit wir nicht hören müssen, wie still es in uns ist. Wir betrinken uns um die Angst zu betäuben. Wir verfolgen das Leben der anderen um nicht sehen zu müssen wie trostlos das unsere ist.“

„Oh Weltschmerz?“

„Nein, kein Weltschmerz. Lebensschmerz! Ich habe ein Buch gelesen über ein altes Ehepaar, daß, gefangen in Routinen sich aus den Augen verloren hat. Ihre Beziehung basiert auf „…es war einmal..“ Im Jetzt lebt jeder sein eigenes kleines Leben und wenn diese sich kreuzen splittert es. Erst die Hochzeit der Tochter bringt sie zum Grübeln und schließlich dazu ihre Liebe zueinander wieder zu finden. Doch gerade als sie das wieder entdecken stirbt einer von beiden. Welch eine Dramatik. Sonst wäre es ja auch nur ein normales Buch über ein normales Leben. Wer will das schon lesen. Aber es macht eben dramatisch klar, daß es irgendwann zu spät ist, um sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren.

„Was ist denn wichtig für Dich? Was willst Du denn?“

„Was jeder will. Ich will geliebt werden und lieben. Mit Leidenschaft und echten Gefühlen. Tiefgründige Gespräche und endlich mal wieder lachen. Gott wie ich lachen vermisse. Bei mir ist gerade alles grau in grau und ein Bisschen Scheiße dazwischen. Oder wenn ich nur mal wieder weinen könnte. Ich fühle mich so tot.“

„Hast Du denn schon mal an deiner Blase gekratzt? Die scheint ja recht gespannt zu sein. Vielleicht hilft das ja mal?“

„Ich trau mich nicht.“ gebe ich kleinlaut zu und lasse den Kopf hängen. Und das stimmt Seit Monaten geht es mir schlecht aber ich funktioniere. Ich fühle mich leer und erschlagen, sinnentleert und ungeliebt. Ich habe keine Kraft um auch nur den Stock zu halten mit dem ich diese Blase zum Platzen bringen könnte. Und ganz ehrlich ich habe so eine scheiß Angst davor was dann passiert.

„Komm mal her“ sagt der Bär und nimmt mich in den Arm. „ich bin doch da.“ Ich lasse mich fallen in sein flauschiges Fell rieche seinen wohlbekannten, wunderbären Duft und fühle mich geborgen. Hier kann ich loslassen. Tränen rollen. Gott wie ich das gebraucht habe. Keine Worte einfach fühlen. Und dann kommt er, der Schmerz. Die Welle überrollt mich. Sie reißt mich davon in die Erinnerung an schlimme Dinge. Alle fein säuberlich in Boxen gesperrt waren sie versteckt, verschlossen und sicher verwahrt. Und doch haben Sie tatsächlich meine Seele eingekerkert, in Ketten gelegt und von mir getrennt. Nun schießen sie endlich befreit auf mich zu, fahren durch mich hindurch und tun mir weh. Schmerz durch dringt mich in jeder einzelnen Zelle meines Herzens. Ein stechender, übler und unglaublich drückender Schmerz. Ich möchte schreien doch es entfährt mich nur ein Schluchzen. Ich heule aus tiefster Trauer. Mir laufen die Tränen übers Gesicht, den Hals hinunter bis auf die Brust. Über dem Herz gibt es eine heftige Reaktion. Wie giftige Säure brutzelt es auf der Haut. Ätzender Dampf steigt auf. Die Haut schlägt Blasen, doch wo vorher Schmerz war ist nun geläuterte Reinheit. Meine Tränen haben die Schmerzen aufgelöst, abgewaschen, ausgemerzt. Ich fühle mich als hätte mir jemand meine Schale geknackt und nun stehe ich da wie ein gebrochener Arm nach 6 Wochen Gips. Lummelich blass und kraftlos. Mir schlackern die Knie. Als ich meine Augen wieder öffne ist alles schwarz. So wie es vorher in mir aussah, schaut es nun um uns herum aus. Doch es gibt auch Sterne die klar und hell am Himmel scheinen. Ein unheimlich schöner Anblick. Ich richte mich im Schoß meines Xellsbeers auf und schaue mich um. Wie ein kleines Kind auf Vaters Knien sitze ich bei ihm und genieße diese Geborgenheit. Er nimmt mich wieder fest in den Arm und meint:

„ Schwere Geburt.“

Auch ich umarme Ihn und drücke ihn ganz fest. Doch eigentlich will ich nur noch näher bei ihm sein.

„Danke, daß Du bei mir warst.“

„Bin ich doch immer kleiner“

Und tatsächlich ist er riesig. Oder bin ich so klein? Egal. Ich habe überlebt. Das zählt.